Bei etwa der Hälfte aller ungewollt kinderlosen Paare liegt die Ursache des Fruchtbarkeitsproblems nicht bei der Frau, sondern allein oder teilweise beim Mann. Viele unterschiedliche Faktoren können die männliche Zeugungsfähigkeit bis hin zur Unfruchtbarkeit (Infertilität) einschränken. Oft bleiben die genauen Ursachen jedoch im Dunkeln. Zum einen, da der Ablauf der Samenzellreifung, des Transports der Spermien zur Eizelle und des komplexen Befruchtungsvorgangs immer noch nicht in allen Einzelheiten erforscht ist. Zum anderen, da auch beim Mann so viele hormonelle und enzymatische Vorgänge ineinandergreifen müssen, dass oft nicht zu sagen ist, an welcher Stelle genau der Reifungs- oder Befruchtungsprozess gestört ist. Daher kann es passieren, dass selbst bei einem unauffälligen Spermiogramm-Resultat die Spermien nur mit medizinischer Hilfe befruchtungsfähig sind.
Störungen der Samenzellbildung
Der häufigste Grund für die männliche Fruchtbarkeitsstörung ist eine nicht ausreichende Produktion von intakten und optimal beweglichen Spermien. Ursache für die Störung kann ein früherer oder aktueller Hodenhochstand sein (z.B. Leisten- oder Gleithoden). Dabei befinden sich die Hoden nicht komplett oder unbeständig im Hodensack, wie es für eine ungestörte Spermienproduktion erforderlich ist. Schon ein nicht behobener Hodenfehlstand in der Kindheit schädigt die Hoden dauerhaft, da sie zu warm sind und möglicherweise auch schlechter durchblutet werden. Infolgedessen werden nicht ausreichend Spermien produziert. Auch direkte Schädigungen des Hodengewebes, wie frühere oder aktuelle Infektionen der Hoden oder Nebenhoden können die Spermienproduktion nachhaltig beeinträchtigen. Hodenverletzungen, etwa durch Sport, oder eine Hodenverdrehung müssen ärztlich abgeklärt und behandelt werden. Nicht zuletzt stehen verdickte Venen im Hodensack (Varikozelen) im Verdacht, die Spermienproduktion zu stören.
Hodentumore sind zwar in der Gesamtpopulation selten, gehören aber dennoch zu den häufigsten männlichen Krebserkrankungen in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren. Unter Männern mit einer festgestellten Fruchtbarkeitsstörung treten Hodentumore zudem deutlich häufiger auf. Deshalb wird die Störung auch als Risikofaktor für eine Tumorerkrankung des Hodens angesehen. Einen nachweislich schädlichen Einfluss auf die männliche Fertilität hat das Rauchen – sowohl auf die Produktion als auch auf die Befruchtungsfähigkeit von Spermien. Zudem verschlechtern sich bei Rauchern wegen vermehrter DNA-Schäden der Spermien die Erfolgschancen einer künstlichen Befruchtung.
Störungen des Spermientransports
Bei einigen Männern werden zwar ausreichend Spermien gebildet, aufgrund einer Störung des Spermientransports können sie sich aber nicht mit der Samenzellflüssigkeit vermischen. In diesen Fällen befinden sich im Ejakulat zu wenige oder keine intakten Spermien. Grund dafür können (teilweise) verschlossene oder nicht vollständig angelegte Samenwege sein. Verschlossene Samenwege lassen sich in vielen Fällen mikrochirurgisch öffnen, so dass eine Zeugung auf natürlichem Weg wieder möglich ist.
Können die Samenwege nicht passierbar gemacht werden, besteht die Möglichkeit einer Spermienentnahme, um sie einzufrieren und später für eine künstliche Befruchtung aufzubereiten.
Unzureichender Harnblasenverschluss
Bei einigen Männern funktioniert der muskuläre Verschluss zwischen Blase und Prostata nicht ausreichend, wodurch es zu einer sogenannten retrograden (rückwärtsgewandten) Ejakulation kommt. Dabei wird der Samen bei einem Orgasmus nicht durch den Penis nach außen befördert, sondern in die Blase abgegeben und später mit dem Urin ausgeschieden.
Antikörper-Bildung
Bei der immunologischen Sterilität behandelt das Immunsystem des Mannes die eigenen Samenzellen als Fremdkörper. Die Folge ist eine Abwehrreaktion gegen die eigenen Körperzellen (Autoimmunreaktion). Dabei greift das Immunsystem die Samenzellen an, indem es im Blut Abwehrstoffe (Antikörper) gegen sie bildet. Diese Antikörper heften sich an die Spermien und können sie dadurch sowohl in ihrer Beweglichkeit als auch in ihrer Fähigkeit beeinträchtigen, die Eizelle zu erreichen und ihre Hülle zu durchdringen.
Unklare Ursachen
Unklar ist die Bedeutung von Umwelteinflüssen, beispielsweise durch Pestizide, chlororganische Verbindungen und andere chemische Stoffe, Schwermetalle, radioaktive Strahlung oder Hitze. Obwohl die schädigende Wirkung auf den menschlichen Körper ab einem bestimmten Maß unbestritten ist, lässt sich für den Einzelnen nur selten ein eindeutiger Einfluss auf die Fruchtbarkeit nachweisen. Daneben gibt es eine Reihe von hormonellen und genetischen Störungen, die in vielfältiger Weise die männliche Fruchtbarkeit beeinträchtigen können. Außerdem kann die Zeugungsfähigkeit durch Ejakulationsstörungen und Erektionsprobleme behindert werden.
Nicht zuletzt können Allgemeinerkrankungen von Nieren, Herz und Leber, Stoffwechselstörungen sowie Alkohol-, Drogen- und Anabolikamissbrauch in den Hormonhaushalt eingreifen und fruchtbarkeitsschädigende Prozesse in Gang setzen.
Ist eine Behandlung möglich?
Auf die Ursachen einer Fruchtbarkeitsstörung hat man zum Zeitpunkt der Diagnose oft keinen Einfluss mehr.
Das Problem geht häufig auf eine frühe Entwicklungsstörung zurück (etwa einen Hodenhochstand) oder auf eine (unbemerkte) vergangene Infektion der Hoden oder Samenwege. Dennoch kann die Medizin häufig Hilfe anbieten. Grundsätzlich gilt es, mögliche Ursachen für die Fruchtbarkeitsstörung zu erkennen und wenn möglich zu behandeln. Lässt sich die Fruchtbarkeit nicht verbessern oder sind die Ursachen der Fruchtbarkeitsstörung nicht behandelbar, besteht die Möglichkeit, den Weg von Ei- und Samenzellen zueinander zu erleichtern. Dies geschieht mithilfe von Techniken der künstlichen Befruchtung (ART). Sie beseitigen zwar nicht die Ursache einer Fruchtbarkeitsstörung, helfen jedoch, die Auswirkungen einer Störung auf die Befruchtungsfähigkeit der Spermien zu umgehen.
Zu den Verfahren der ART gehören die Intrauterine Insemination (IUI), die In-vitro-Fertilisation (IVF) und die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Welches Verfahren geeignet ist, hängt sowohl von den Befunden des Mannes als auch der Frau ab. Diese Entscheidung betrifft immer das Paar als Ganzes.